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Endless Bokeh I - Die Grundlagen

Papierdünne Schärfentiefe und riesige Bokeh Bubbles, wer will das nicht? Hier kommen die Tricks dazu!

Schönes Bokeh braucht als Voraussetzung eine ausgeprägte Unschärfe im Vorder- oder Hintergrund. Idealerweise versucht man also, wenn man bokehsüchtig ist, eine möglichst geringe Schärfentiefe zu erzielen.

Hier im ersten Teil kommt ein klein wenig Theorie dazu, dann beschreibe ich Euch eine Faustformel für die Praxis und zeige ein paar Beispiele. Im zweiten Teil seht Ihr dann noch ein paar ausgefuchstere Tricks.

Geringe Schärfentiefe und schönes Bokeh

Der vermaledeite Abbildungsmaßstab 

Oft liest man, dass die Schärfentiefe nur von der Blendenzahl und vom Abbildungsmaßstab abhängt. Hm-hm. Also erstens ist das nicht ganz richtig, und zweitens nützt der Satz in meinen Augen auch nicht viel. Oder habt Ihr an Eurer Kamera einen Knopf, um den Abbildungsmaßstab einzustellen? Eben. Aber Ihr könnt sehr wohl am Telezoom die Brennweite einstellen und auch in der Aufnahme dann die Gegenstandsweite wählen.

Der Abbildungsmaßstab beta ist definiert zu beta = f/(g – f), oder, wenn g >> f, beta = f/g (hierin: f: Brennweite, g: Gegenstandsweite). Wenn f groß wird und g klein, dann wird die Schärfentiefe gering. Die Brennweite hat also offensichtlich einen Einfluss, wenn man veränderte Ansichten zulässt. Wer auf der gleichen Ansicht besteht, der muss bei einer längeren Brennweite auf mehr Abstand gehen. Dann hebt sich vermeintlich der Einfluss der Brennweite auf. Jetzt wissen wir aber aus der Praxis, dass lange Brennweiten besonders weiche Hintergründe zaubern. Woran liegt das?

„Zerstreuungskreis-Durchmesser hängen nur dort lediglich von Blende und Maßstab ab, wo sie noch klein sind, wo sie also Durchmesser haben, die wir üblicherweise als erlaubte Unschärfe zulassen. Für die Zerstreuungskreise größeren Durchmessers, also deutlich im Bereich der Unschärfe, gelten die einfachen Näherungen nicht mehr. Dort geht immer auch die Brennweite ein und sorgt dafür, dass Bilder von längeren Brennweiten auch bei gleicher Darstellung des Hauptmotivs im Hintergrund anders aussehen.“ (Quelle: Dr. Hubert Nasse / Carl Zeiss AG, http://tiny.cc/pzrv5x).

Dr. Nasse macht in seinem Fachartikel folgende Einflussgrößen dingfest: „Die entscheidende Größe für die Quantität von Unschärfe ist also die physische Größe der Eintrittspupille. Wenn man mit ‚Bokeh’ in erster Linie die Fähigkeit meint, den Hintergrund sehr unscharf, weich und detailarm darstellen zu können, muss man eine genügend große Eintrittspupille haben. Großes Aufnahmeformat, lichtstarke Objektive und längere Brennweiten haben in der Richtung das beste Potential.“

Die Tricks für mehr Unschärfe

Ich übersetze nun einmal Dr. Nasses Liste frei Schnauze in die Praxis und beziehe auch ein, dass man eventuell auch den Standpunkt bzw. den Hintergrundabstand wählen kann. Wer auf riesige Bokeh Bubbles steht, der

  • verwendet mindestens Vollformat
  • verwendet eine lange Brennweite (fixiert bspw. sein 70-200-Telezoom auf 200 mm)
  • verwendet ein lichtstarkes Objektiv und öffnet die Blende maximal
  • geht so nah ran ans Motiv wie möglich (hier hilft eine kompakte Pose des Models) und wählt eine Szene, in welcher der Hintergrund möglichst viel Tiefe aufweist und maximal entfernt ist

Schönes Bokeh, schöne Hintergrundunschärfe, geringe Schärfentiefe

Mittleres Tele, 85 mm am Vollformat, fast offen – diese Kombi liefert eine sehr schöne Hintergrundunschärfe – zumindest, wenn man einen kleinen Abstand zum Modell wählt.

Gutmütige Linsen versus Diven

Wenn Ihr eine krasse Unschärfe haben wollt, dann könnt Ihr entweder eine sehr lichtstarke Linse mittlerer Brennweite nehmen, oder auch eine lange Linse. Der Umgang mit den Lichtmonstern ist aber viel schwieriger als der Umgang mit Telelinsen. Nehmen wir zum Beispiel ein 50 f/1.2, offenblendig: Erstens ist die Schärfezone papierdünn und zweitens verzeiht diese Linse auch keinerlei Fokusfehler, wie sie durch Focus and Recompose entstehen. Ein 70-200 f/2.8 dagegen, auf 200 mm und auf f/3,2, macht sogar den weicheren Hintergrund und ist darüber hinaus auch noch völlig gutmütig im Umgang. Die Schärfezone ist größer, und der Hintergrund wird dennoch schön blurry. Auch Focus and Recompose ist hier in Maßen noch vertretbar, da die Winkel kleiner sind.

Formel für Tiefenschärfe

Bei kürzeren Brennweiten kann der Fehler, der durch Focus & Recompose entsteht, zu groß werden. Abhilfe schafft die Wahl eines passenden Fokuspunktes.

Die Lichtriesen haben aber auch Vorteile, denn die Perspektive ist anders. Man geht mit diesen kürzeren Linsen näher ran und bekommt dadurch mehr vom Hintergrund auf das Bild. Bei schönen Hintergründen kann das wichtig sein, bei weniger schönen kann man aber ebenso mit einem 200 f/2.0 einfach alles außerhalb der Schärfezone verschwinden lassen.

Schärfentiefe beim Teleobjektiv

Ein 70-200 f/2.8, auf 200 mm und auf f/3,2 zeichnet auch auf größerem Abstand (für Ganzkörper-Shots) den Hintergrund problemlos butterweich.

Im nächsten Teil zeige ich Euch noch ein paar spezielle Tricks zum Thema Bokeh.

Bis dahin, Euer Tilo.

Alle hier gezeigten Text und Fotos unterliegen dem Urheberrecht des Autors.

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20. November 2015 - 9:38

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