You are here

Gedanken zur Portraitfotografie

Wisst Ihr, was das beliebteste Thema bei FotoTV. ist? Portraitfotografie. Das war es schon immer und auch bei unserer letzten Nutzerbefragung war es wieder der Spitzenreiter. Verwunderlich ist das nicht, denn zum einen sind Menschen sicher das Wichtigste und Spannendste in unserer Umgebung und zum anderen sind Menschen als Motiv fast immer verfügbar.

Bei meinem letzten Besuch in Arles beim Fotofestival ‚Rencontres d’Arles’ habe ich mir die große Ausstellung der amerikanischen Fotografin Annie Leibovitz angesehen. Ihr Archiv wurde von der Luma Foundation aufgekauft und nun nach und nach in großen Werkschauen in Arles präsentiert.

Und obwohl diese erste Ausstellung vor allem ihr Frühwerk zeigte, in dem noch eher die Reportagefotografie dominierte, waren einige der großen bekannten Portraits von ihr zu sehen. Annie Leibovitz hat für viele große amerikanische Magazine Portraits erstellt und damit Weltruhm erlangt. Ich komme später nochmal auf sie zurück.

Mein erster Eindruck der Bilder war jedenfalls der, dass sie einige der ikonischsten Portraits geschaffen hat, die unsere Generation geprägt haben. Man denke nur mal an das Bild von John Lennon und Yoko Ono, das wenige Stunden vor seinem Tod entstand. Oder erinnert Ihr Euch an das Bild von Demi Moore, als sie schwanger war und den Skandal, den die Aufnahme auslöste? Heute, wenige Jahre später, sind diese Bilder genauso präsent wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung.

Das war für mich der Anlass, mir Gedanken über die Portraitfotografie zu machen, die ich hier mal runterschreiben wollte.

Als Einstieg ist ein Blick zu Wikipedia für Fotografen nicht sehr aufschlussreich. Hier werden lediglich allgemeine Informationen zum Genre aufgeführt und es sind ein paar Details zum geschichtlichen Hintergrund zu finden. Für einen tieferen Einblick müssen wir selbst von vorne anfangen…

Das Motiv

Was wie ein Kalauer klingt, ist doch auf den zweiten Blick gar nicht so dumm. Portraits entstehen eigentlich immer im Rahmen einer ‚Beziehung‘ zwischen Fotograf und Fotografiertem.

Wird ein Foto von einem Menschen geschossen, der dies nicht merkt, dann wirken diese Aufnahmen auch nicht wie ein Portrait, sondern eher wie ein Reportage- oder Paparazzifoto. Ich erinnere mich an das Interview mit Sante D´Orazio, in dem er davon sprach, dass Portraits immer eine Verbindung von Fotograf und Fotografiertem vorangeht.

Das ist wohl auch der Grund, warum viele versierte Portraitfotografen davon berichten, dass es für ein gutes Portrait darauf ankommt, die zu fotografierende Person anzuleiten. Man kennt das ja selbst: Wird man fotografiert, kommt man sich tendenziell wie ‚Falschgeld’ vor, es sei denn, man wird durch den Fotografen so in ein Gespräch verwickelt, dass man gar nicht mehr dran denkt, dass man fotografiert wird.

Es gibt die Anekdote von Richard Avedon, der seine berühmten Portraits so gemacht hat, dass er seine Großformatkamera aufgebaut hat und dann danebenstand und mit den zu Portraitierenden gesprochen hat. Irgendwann hat er ganz nebenbei auf den Auslöser gedrückt, ohne dass diese es bemerkt haben.

Ein gutes Beispiel für diese Art zu arbeiten, sieht man auch in unserem Film mit Carmen Kubitz und Jürgen Wasmuth. Einer der beiden spricht mit Renate Gruber und stellt die Verbindung her, während der andere fotografiert.

Authentische Portraitfotografie

Dies könnte auch gleich ein Tipp sein, wenn man selbst damit Schwierigkeiten hat, zu jemandem einen ‚Draht’ zu finden: Lasst diese Person mit einer ihr bekannten sprechen und konzentriert Euch selbst ganz auf das Fotografieren.

Eine weitere Herangehensweise zeigt Stephen Petrat in seinem Film: Er macht ein Vorgespräch, in dem er Themen herausfindet, die der zu portraitierenden Person wichtig sind. Diese ruft er dann im Shooting ab. Bevor er dies tut, hat er sich aber einen Moment dediziert um die Technik gekümmert.

Portraitshooting strukturieren

Dies ist eine Vorgehensweise, die ich bei Fotografen schon häufig beobachtet hab: Dem Model Bescheid sagen, dass man sich eine Weile um die Technik kümmert. Die Person weiß dadurch, dass erst mal nichts passiert und fühlt sich vom Fotografen nicht alleingelassen. Wenn alle Einstellungen stimmen, kann zum Fotografieren übergegangen werden und sich dann voll dem Motiv widmen, statt an der Technik rumzufummeln.

Übrigens ist dies auch der Grund, warum viele Fotografen im Studio oder bei gleichbleibenden Lichtverhältnissen im manuellen Modus fotografieren: Sie stellen einmal die Belichtungszeit, Iso und Blende so ein, dass diese stimmen. Wenn sich dann das Licht nicht mehr ändert, wissen sie, dass alles passt. Fotografiert man hingegen mit einer Automatik, dann wird die Belichtung für jedes Bild neu ermittelt und es kann zu Fehlern kommen.

Das Konzept

Ein gelungenes Porträtfoto kommt nicht von ungefähr. Natürlich könnt ihr euch mit einem Modell verabreden und einfach munter drauflos knipsen. Allerdings solltet ihr dann nicht zu viel von den Ergebnissen erwarten. Sinnvoller ist es, sich vorher bereits genaue Gedanken zu machen, wie das fertige Bild aussehen soll und welche Schritte dafür notwendig sind.

Auch Profis wie Peter Lindbergh gehen auf diese Weise vor. Zunächst wird etwa mit Hilfe eines Mood-Boards festgehalten, welche Stimmung das Foto widerspiegeln soll. Sind Location und Modell bestimmt, richtet sich danach die Auswahl der Kamera und der notwendigen Ausrüstung. Welches Objektiv ist das richtige und brauchst Du möglicherweise einen Reflektor? Schließlich solltest Du auch überlegen, welches Bildformat Deine Idee am besten transportiert. Manche Details oder Effekte können hingegen auch nach dem eigentlichen Shooting durch die Bildbearbeitung hinzugefügt werden.

Das Licht

Ich erinnere mich noch, wie mir das Fotografieren von Portraits beigebracht wurde... Und zwar mit einer Faustformel, die 25 Jahre lang meine Portraits kaputt gemacht hat: ‚Sonne im Rücken’. Diese dumme ‚Fotoweisheit’ beinhaltet ja eigentlich gleich zwei ‚Tipps’. Erstens: Fotografiere in der Sonne und zweitens: Habe dabei die Sonne hinter Dir. Und das ist gleich doppelt falsch oder sagen wir fragwürdig.

Der Vorteil des Fotografierens in der Sonne wurde mir immer so erklärt, dass dies ‚schöne Farben’ mit sich bringe. Ganz falsch ist das natürlich nicht. Nur wo Licht ist, können wir auch Farbe sehen. Und was mir auch gezeigt wurde war, dass Licht beim Sonnenuntergang besonders warm ist und für einen schönen Hautton sorgt. Doch das war’s dann auch schon mit den Vorzügen von direktem Sonnenlicht, das hinter dem Fotografen lauert.

Ist es nämlich mal nicht die schöne halbe Stunde des Sonnenuntergangs, dann hat direktes Sonnenlicht einige Nebenwirkungen. Nicht nur führt es dazu, dass das Modell in die Sonne schauen muss, um in Richtung der Kamera zu blicken, was zu verkniffenen Augen und Gesicht führt.

Ein anderer Spruch unter Fotografen lautet nämlich: „Von elf bis drei hat der Fotograf frei“. Das Licht ist vor allem um die Mittagszeit sehr hell und führt dazu, dass die Farben insgesamt eher blass wirken. Noch schwieriger sind die entstehenden Schatten, die in knalliger Sonne sehr hart und unattraktiv sind! Ein geübter Fotograf kann zwar mit solchen Schatten eventuell noch ein spannendes Foto gestalten – der Normalsterbliche Fotograf hingegen, der mit solchen ‚Tipps’ versucht, zum guten Bild zu kommen, hingegen sicher nicht.

Was würde ich drum geben, hätte mir damals jemand gesagt, dass ich es mal mit Fotografieren im Schatten und mit Fotografieren mit Sonne hinter dem Motiv versuchen soll! Schauen wir uns mal die Vorzüge dieser beiden Vorgehensweisen an:

Fotografieren im Schatten

‚Schatten’ assoziieren wir mit dem Fehlen von Licht. Das ist aber falsch! Steht ein Motiv im Schatten, können wir es trotzdem sehen! Gäbe es dort kein Licht, könnten wir es auch nicht sehen. Schatten ist fotografisch gesehen etwas anderes, nämlich die Abwesenheit von direktem Licht! Und hier liegt auch der Schlüssel zu den Vorzügen des Fotografierens im Schatten! Denn direktes Licht erzeugt besagte harte Schatten, wie das folgende Bild zeigt.

Harte Schatten bei der Porträtfotografie

Indirektes Licht hingegen wirft keine oder nur sehr weiche Schatten. 

Seht Euch mal folgendes Portrait an: Das Modell stand im Schatten eines Hauses, direkt an der Tür.

Indirektes Licht in der Portraitfotografie

Das Gesicht selbst ist völlig gleichmäßig und schattenfrei ausgeleuchtet.

Mehr zu diesem Lichtset findet Ihr auch auf der DVD ‚Perfekte Reisefotos mit einfachen Mitteln’, die wir FotoTV.-Mitgliedern mit Vollzugang immer mal wieder kostenlos zum Download anbieten. Schaut einfach mal unter diesem Link, ob sie gerade verfügbar ist.

Der Vorteil des indirekten Lichtes hier ist zum einen, dass das Modell nicht in die Sonne schauen muss und dadurch ein entspanntes Gesicht hat. Zum anderen wirft ihr Gesicht dabei auch keine unvorteilhaften Schatten, wie zum Beispiel unter der Nase oder in den Augenhöhlen.

Licht, welches indirekt auf das Modell scheint, hat noch einen weiteren Vorteil: Es wirft auch keine „Mikroschatten“ auf der Haut: Pickel oder Falten, die von direktem Licht getroffen werden, werfen kleine Schatten, die eben diese Hautunebenheiten noch visuell verstärken! Indirektes Licht, wie wir es finden, wenn wir im Schatten fotografieren wird daher auch ‚Beautylicht’ genannt, weil es Hautunebenheiten im Foto nicht so zeigt.

Um das ganze ganz konkret als Tipp zu formulieren: Sehr vorteilhafte Portraits entstehen dann, wenn das Motiv selbst im Schatten steht und drum herum eine möglichst große Fläche vorhanden ist, die angeleuchtet wird. Diese wirft indirektes, diffuses Licht auf das Motiv. Typischerweise findet man diese Lichtsituation unter Vordächern, in Torbögen, Tunneleingängen oder am Strand unter Sonnenschirmen.

Wie man in dieser Lichtsituation fotografiert, zeige ich auch in einem kleinen Tutorial auf der CD ‚Perfekte Portraits mit einfachen Mitteln', die FotoTV.-Mitgliedern mit Vollzugang kostenlos als Download auf unserer Plattform finden können. Unter diesem Link könnt ihr die Verfügbarkeit prüfen.

Perfekte Portraits mit einfachen Mitteln

Kommen wir nochmal zur Position des Lichts. Bei den oben beschriebenen Settings gibt es keine richtige einzelne Richtung des Lichts mehr – es kommt von der gesamten Umgebung. Denken wir nochmal an die blöde Faustformel, welche besagt, der Fotograf müsse das Licht im Rücken haben. Wenn wir diese Regel jetzt so gut brechen wie möglich, dann müsste ja die schlechteste Position für die Sonne genau hinter dem Modell sein. Ist es aber nicht!

Genau mit dieser Aufstellung lassen sich super Fotos machen. Gegenlicht ist in den letzten Jahren fotografisch so sehr in Mode gekommen, dass es fast schon etwas abgegriffen ist. Das soll uns hier aber nicht stören. Warum kann man im Gegenlicht gute Fotos machen? Wenn man genau drüber nachdenkt, dann befindet sich das Gesicht, wenn die Sonne hinter dem Modell steht, IM SCHATTEN! Und die Vorteile von Schatten hatten wir ja oben bereits besprochen!

Es kommt jedoch noch ein zweiter Aspekt hinzu: Um im Gegenlicht zu fotografieren, muss die Belichtung auf das Gesicht eingestellt werden, welches relativ dunkel erscheint. Die Umgebung wird dadurch, wenn sie sonnenbeschienen ist, tendenziell sehr hell oder überbelichtet. Dies ergibt einen sommerlichen Look, der besonders schön wirkt. Und: Sollte hinter dem Modell ein nicht so schöner Hintergrund sein, so verschwindet dieser bei Überbelichtung!

Nicht zuletzt kann noch ein weiterer Effekt im Gegenlicht erzeugt werden, die sogenannten ‚Flares’. Fällt Licht direkt auf das Glas des Objektivs, so wird das Bild tendenziell leicht milchig. Technisch gesagt vermindert sich der Kontrast und es zeigen sich kleine Lichtartefakte im Bild. Objektivhersteller haben diese ‚Flares’ durch Spezialbeschichtungen der Linsen im Objektiv heutzutage recht gut im Griff.

Lustigerweise haben Fotografen diese eigentlich als Fehler bekannten Artefakte in den letzten Jahren wieder liebgewonnen und bauen sie bewusst in Fotos ein. Ein Film, der diesen Look genauer erklärt gibt es bei uns hier:

Objektivfehler nutzen, 70´Style, Retro, Lensflair

Und wenn man ein so gutes Objektiv hat, dass die Flares sich nicht mehr richtig einstellen, dann wird dieser Effekt einfach bei der Nachbearbeitung in Photoshop ins Bild eingebaut! Ein Film, der zeigt, wie das geht findet Ihr hier:

Calvin Hollywood Lichteffekte mit Photoshop

Dies waren mal ein paar einführende Gedanken zur besonderen Situation des Portraits und ein paar einfache Tipps zum Thema Licht. Da die Portraitfotografie so ein beliebtes Thema ist, gäbe es natürlich zu all dem noch viel mehr zu sagen. Ich wollte hier jedoch nur ein paar Basics weitergeben. Sehr viel tiefer gehen wir in unseren Tutorials auf das Thema ein, die ihr im eigenen Kanal auf FotoTV. findet.

Schaut hier doch einfach mal folgende Filme rein:

Drei Settings mit Fensterlicht

Schnelle und gute Portraitfotos

Fashionportraits mit Steven van Veen

In weiteren Blogbeiträgen werde ich in der Zukunft noch auf Themen wie Bildausschnitt, Gestaltung und Schwarzweiß vs. Farbe eingehen. Und dann auch den Bogen zurück zu Annie Leibovitz finden – versprochen :-)

Bis dahin erstmal viele Grüße und viel Spaß mit der Portraitfotografie!

Euer Marc.

 

 

 

 

 

 

 

18. Juli 2017 - 12:26

Alle Beiträge zum Thema Portraitfotografie